Quartierverein Wiedikon

Netto Null Alt Wiedikon: Weniger Blabla, mehr Effizienz

Netto Null Alt Wiedikon: Weniger Blabla, mehr Effizienz
Im Sommer 2023 skizzierte Stadtrat Andreas Hauri erstmals das Projekt Netto Null in Alt-Wiedikon / Binz. Im November 2023 berichtete der Quartierverein darüber – kritisch, aber konstruktiv. Unser damaliger Hauptvorwurf: Warum lanciert die Stadt ein solch weitreichendes Pilotprojekt und «vergisst» dabei, einen wichtigen Akteur im Kreis 3 – den Quartierverein Wiedikon – einzubeziehen? Hier der damalige Bericht auf unserer Website (Ein Klimaprojekt für Alt-Wiedikon? 14. November 2023).
Stadtrat Andreas Hauri, Vorsteher Gesundheits- und Umweltdepartement Stadtrat Andreas Hauri, Vorsteher Gesundheits- und Umweltdepartement
Der Vorsteher des Gesundheits- und Umweltdepartements (GUD) Andreas Hauri entschuldigte sich für den Fehler und stellte das Projekt anlässlich der Generalversammlung des Quartiervereins vom 14. März 2024 öffentlich vor. Rund 200 Personen verfolgten die Versammlung im Kirchgemeindehaus Johanneum, die von einer angeregten Diskussion begleitet war. Es war «ein respektvoll geführter Schlagabtausch, der Kritik zum Ausdruck brachte, aber auch Wissenslücken im Publikum füllen konnte.» So schrieben wir damals über das geplante Pilotprojekt Alt-Wiedikon / Binz (Generalversammlung des Quartiervereins mit Rekordbeteiligung 20. März 2024).

Über ein Jahr herrschte Funkstille. Im Quartierverein vermutete man bereits, die Stadt habe das gigantische und überambitionierte Projekt stillschweigend begraben. Weit gefehlt – im April 2025 kontaktierte uns der GUD-Vorsteher erneut und schlug vor, den QV-Vorstand aus erster Hand über den Zwischenstand und weitere Schritte zu informieren. Am 13. Mai präsentierte dann eine vierköpfige Gruppe des Projektstabs (Tian Hartmann, Andrea Altorfer, Rahel Gessler, Thomas Hug) eine neue gekürzte Version des Netto-Null-Projekts mit bunten Folien, Fotos, Grafiken und lustigen Figuren. In der Folge analysierte der Vorstand das Thema, mehrere Personen äusserten sich schriftlich – und an der Sitzung vom 10. Juni 2025 verabschiedete er einstimmig diese Stellungnahme.

Das Fazit des Quartiervereins lautet zusammengefasst:
  • Wir begrüssen es, dass die Stadt geeignete Massnahmen gegen den Klimawandel ergreift und sind bereit, konstruktiv mitzuarbeiten
  • Kritisiert wird jedoch, dass das Konzept nichts Neues bietet, nach wie vor falsche Prioritäten setzt, die Projektorganisation zu gigantisch sei und von schwammigen Begleitmassnahmen (Workshops, Feste, Community-Aktivitäten, Projektkiosk, vegane Kochkurse, Tauschmarkt, Nachbarschaftsgarten usw.) entschlackt werden sollte. Auf grosse Skepsis stösst wegen Missbrauchspotenzial auch das «partizipative Budget»
  • Wir fordern, dass Einzelmassnahmen effizienzorientiert und freiwillig zusammen mit der Bevölkerung (Hausbesitzer), mit lokalem Handwerk und Gewerbe entwickelt und realisiert werden
  • Als konkrete Massnahmen schlagen wir Wärmeverbünde entlang von vier Quartierachsen vor, degressive Sanierungsbeiträge zum Umstieg von fossilen auf klimafreundliche Heizungen und Wärmedämmungsmassnahmen in alten Gebäuden.
Projektperimeter Alt-Wiedikon / Binz
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Weiblein, Männlein, farbige Blasen und Coachingvokabular: ein Projekt der Nanny-Stadt Zürich
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Zeichnen, krabbeln, malen mit Quartierbewohnern – wer hat Lust dazu?
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«Alltagspraktiken», ausgeheckt von gut bezahlten Animationsbüros
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Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) griff das Thema bereits Ende Mai in einem kritischen Artikel auf: «Wiedikon wird zum Testlabor für ‘Netto Null’». Dazu hat sie unter anderem den Präsidenten des Quartiervereins befragt. Dieser kritisierte, dass der Klimaschutz nur mit konkreten Massnahmen vorangetrieben werden könne, nicht mit «Diagrammen, Schnittstellen-Veranstaltungen und schönen Worten.» Er rechnete vor, dass mit den knapp 8 Millionen Franken für das Pilotprojekt in Alt-Wiedikon rund 250 Wohnungen von fossil betriebenen auf Erdsonden-Heizungen umgestellt werden könnten. Das wären «etwa 5 Prozent aller Wohnungen im Projektperimeter – eine sinnvolle Investition.» Lesen Sie hier den Artikel von Isabel Heusser in der NZZ vom 24. Mai 2025.

Ergänzend sei hier angemerkt: Würde die Stadt nicht die vollen Kosten eines solchen Umstiegs übernehmen, sondern Hausbesitzern lediglich einen Drittel davon «schenken», könnten es gar dreimal so viele Wohnungen sein: 750 oder 15 % aller Wohnungen im Einzugsgebiet. Wäre das nicht ein erfolgreiches, nachahmenswertes Pilotprojekt? Kritisch äussert sich im erwähnten Artikel auch der Wiediker FDP-Gemeinderat Flurin Capaul. Er nennt den Pilot ein «wolkiges Projekt», bei dem die Verwaltung «davon ausgeht, dass die Bevölkerung bespielt werden will». Doch darauf hätten im Quartier die wenigsten Lust. «Diejenigen Leute, denen das Thema wichtig ist, essen schon heute kein Fleisch mehr und fahren Velo statt Auto.»
Konkrete Massnahmen wie Wärmeverbund, klimafreundliche Heizung und Wärmedämmung fehlen im Projekt. Tic tric trac Gebäude in der Binz. Konkrete Massnahmen wie Wärmeverbund, klimafreundliche Heizung und Wärmedämmung fehlen im Projekt. Tic tric trac Gebäude in der Binz.
Noch härter geht NZZ-Lokalressortchef Daniel Fritzsche mit dem Pilotprojekt ins Gericht. Er bezeichnet dieses als «staatlichen Umerziehungsversuch», der den Klimawandel sicher nicht aufhalten werde. Braucht es für jede nachbarschaftliche Initiative die lenkende Hand und das Geld des Staates, fragt er. «Und das ausgerechnet in einem lebendigen Stadtteil wie Wiedikon, in dem ein überaus aktiver, privat organisierter Quartierverein wirkt?» Danke, für das Kompliment und die wohl rhetorisch gemeinte Frage. Hier finden Sie den Kommentar von Daniel Fritzsche.

Für Diskussionen ist also gesorgt. Der Klimaschutz braucht weder wolkige Worte noch einen Nanny-Staat, aber griffige Massnahmen. In Wiedikon möchten wir weder bespielt noch bevormundet, doch mit unseren konkreten Vorschlägen ernst genommen werden. Wir machen mit, lieber Stadtrat Andreas Hauri, wenn Sie und Ihr Projektstab die eigenen Versprechen vom Sommer 2023 einlösen: «Was funktioniert, werden wir weiterverfolgen, was nicht, wieder abbrechen.» Wir sehen uns – in der Binz!