Quartierverein Wiedikon

Ortsgeschichte

Ein stolzes Wappen

Wiedikon hat ein Wappen, das sich sehen lassen darf. In der Fachsprache der Heraldiker wird es so beschrieben: "In Blau ein von Rot und Silber geteilter, goldgefasster Reichsapfel mit goldenem Kreuz". Der Reichsapfel ist zwar ein mittelalterliches Symbol, aber das Wappen ist jünger: Eindeutig bezeugt ist es erst, seit der Kupferstecher Konrad Meyer dieses Wiediker Emblem in seinem 1674 erschienenen Wappenbuch abgebildet hat.

Und doch zeigt uns das Wappen das Selbstbewusstsein eines Dorfes, das auf eine lange Vergangenheit zurückschauen und mit Vertrauen in die Zukunft blicken konnte. Was wir aber heute über die Wiediker Geschichte wissen, verdanken wir der jahrzehntelangen Forschungsarbeit des früheren Wiediker Gemeindepfarrers Paul Etter.

Was hier berichtet wird, stützt sich weitgehend auf die subtilen Untersuchungen des hochverdienten Wiediker Lokalhistorikers.

Das Steinbeil aus "Vviedinc hova"

Ist es ein Zufall? Ausgerechnet ein Werkzeug ist das älteste Zeugnis der Wiediker Geschichte, genauer: Ein Steinbeil aus der Zeit zwischen 3000 und 1800 vor Christi Geburt, das in der alten Lehmgrube im Binz aufgefunden wurde. Offenbar waren schon die allerersten Steinzeit-Wiediker fleissige Leute! Aus den folgenden Jahrhunderten ist freilich nur ganz wenig erhalten geblieben. Gräberfunde auf dem Rebhügel lassen vermuten, dass Kelten vom Stamme der Helvetier auf Wiediker Boden gesiedelt haben. Aus der Römerzeit sind nur ein paar Münzen überliefert.

Spannend wird es erst wieder in der Völkerwanderungszeit: Alemannen haben erkannt, wie gut sich auf dem Bühl- und dem Rebhügel wohnen lässt. Nicht nur Gräber bezeugen die alemannische Siedlung: Der Ortsname Wiedikon geht zurück auf eine alemannische Sippe, die sich nach ihrem Sippenältesten Wiedo die "Wiedlinge" nannte. Eine Urkunde vom 27. Juni 889 erwähnt die "Vviedinc hova", also die "Höfe der Wiedinge". In dieser Urkunde hat ein gewisser Perchtolo einzelne Grundstücke in Wiedikon dem Fraumünsterstift vermacht.

Aus "Vviedinc hova" wurde im Lauf der Zeit unser "Wiedikon".

Der Reichshof — alle Jahre wieder

Friesenburg
Und wieder schweigen die historischen Quellen für ganze vier Jahrhunderte! Erst aus dem Jahr 1259 ist die nächste Urkunde überliefert, die Wiedikon erwähnt. Aus dieser Urkunde erfahren wir, dass Wiedikon zu jener Zeit ein königlicher Reichshof war.

Wir dürfen annehmen, dass von diesem Reichshof Lebensmittel in die Pfalz auf dem Lindenhof geliefert werden mussten, wenn in der Pfalz ein hoher Besuch, vielleicht sogar der Kaiser, erwartet wurde.

Am Sechseläutenumzug stellt die Zunft zu Wiedikon dieses Thema dar: Adlige und geistliche Herren aus der nahen Stadt, zu Ross und zu Fuss, aber auch die Bauern und die dörflichen Handwerker aus Wiedikon.

Wir wissen auch aus jener Urkunde, dass damals die Freiherren von Eschenbach-Schnabelburg als Vögte für diesen Reichshof verantwortlich waren — jeder Albiswanderer kennt ja die Ruinen der Schnabelburg! Aber dieses Adelsgeschlecht ist bald ausgestorben, die Vogtei über Wiedikon ging an andere Geschlechter, die Mülner, die Glentner, die Schwend, die sich ihr Bürgerrecht hinter den schützenden Mauern der Stadt Zürich gesichert hatten. Und so fielen die Vogteirechte über Wiedikon 1491-1496 durch Kauf an die aufstrebende freie Reichsstadt Zürich, die zielbewusst am Werk war, sich ein Herrschaftsgebiet zu erwerben, das schliesslich praktisch mit dem heutigen Kanton Zürich identisch war.

Wegen seiner Nähe zur Stadt war Wiedikon eine innere Vogtei, das heisst: Der für Wiedikon (und zugleich Albisrieden) verantwortliche Vogt wohnte in der Stadt und erschien immer dann in Wiedikon, wenn er Amtsgeschäfte zu verrichten hatte.

Bauern, Ziegelbrenner, Fuhrhalter

Bethaus
Die Wiediker lebten damals weitgehend von der Landwirtschaft, aber eine grosse Rolle spielte auch die Ziegelbrennerei: Lehm war genug zu finden und das für die Brennerei nötige Holz konnte bequem auf der Sihl herangeflösst werden. Die Fuhrhalter, welche die Ziegel und Backsteine auf die Baustellen und anderswo transportieren mussten, hatten ihr gutes Auskommen. Trotz dieser Frühindustrialisierung im Baustoffgewerbe hat Wiedikon seinen ländlichen Charakter behalten: Noch im späten 18. Jahrhundert hat der Zürcher Patrizier Johann Caspar Schweizer seine Flitterwochen "im idyllischen Wiedikon" verbracht.

Jahrhundertelang waren die Wiediker in St. Peter in der Zürcher Altstadt kirchgenössig. Sie mussten also für den sonntäglichen Kirchgang einen beschwerlichen Fussmarsch in Kauf nehmen! Erst im 18. Jahrhundert bekamen die Wiediker ihre eigene Kirche, das hübsche Bethaus an der Schlossgasse, das 1791 eingeweiht wurde.

Eine selbstbewusste, aber arme Gemeinde

Buehlstrasse-Zweierstrasse 1892
Die Invasion der französischen Armee 1798 brachte die alte Ordnung zum Einsturz. Die bisherigen Untertanengebiete wurden gleichberechtigt, das Dorf Wiedikon bekam seine Gemeindeautonomie, die es bis 1893 wahrte. Freilich waren die Wiediker im 19. Jahrhundert nicht auf Rosen gebettet. Es wird berichtet, dass täglich im Morgengrauen viele Arbeiter, darunter nicht wenige Kinder, in die Fabriken der Stadt unterwegs waren.

In Wiedikon war es wie in anderen Zürcher Vorortsgemeinden auch: Die vorwiegend arme Bevölkerung wuchs rasch an, die Gemeinde hatte kostspielige Aufgaben zu bewältigen, aber die Steuererträge blieben kümmerlich. Vor allem die missliche Lage der Gemeindefinanzen bereitete den Boden für die grosse Eingemeindung von 1893 vor.

Das Stadtquartier Wiedikon

Panorama Wiedikon
Aus der selbständigen Gemeinde Wiedikon wurde nun der Zürcher Stadtkreis 3 mit einer Gesamtfläche von 864.9 ha, was 9.4 % der Fläche der Stadt Zürich ausmacht. Die Verstädterung ging rasant voran: Gegen 1900 wurde vor allem im Gelände zwischen dem Sihlhölzli und dem Friedhof Sihlfeld in "geradezu amerikanischem Tempo" gebaut, wie ein Zeitgenosse schrieb. Ab 1930 folgten die genossenschaftlichen Wohnüberbauungen im Friesenberg nach dem Vorbild der englischen "Garden City" und nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gebiet im Gut in eine Wohnlandschaft umgewandelt. Trotzdem zählen nur 11.2 % der Gesamtfläche statistisch als "Gebäudegrundfläche" gegenüber 15.1 % "Wiesen, Aecker" und 31.3 % "Wald". Die Einwohnerzahl, die auf dem Höhepunkt bei 56'000 gelegen hatte, ist inzwischen auf rund 45'000 gesunken, wobei sich aber im selben Zeitraum der Wohnungsbestand von 21'500 auf 22'100 erhöht hat!

Diese Entwicklung ist ganz typisch für ein Quartier in unmittelbarer Nähe der City. Aber Wiedikon ist nicht von der Grossagglomeration Zürich aufgesogen worden! Der Wiediker Geist wurde und wird bewahrt und gepflegt von den vielen Vereinen, den Kirchgemeinden, dem Ortsmuseum und nicht zuletzt der Zunft zu Wiedikon. Diese ist sich ihrer ganz besonderen Aufgabe immer bewusst: Wie keine andere Organisation ist die Zunft verpflichtet, das Erbe der Wiediker Tradition zu hüten und in immer wieder neu entwickelten Formen den kommenden Generationen weiterzugeben.

Weitere Informationen zu Wiedikon: Heimat- und Ortsmuseum Wiedikon